Schulreform: Da waren's nur noch zwei
Schulreform: Da waren's nur noch zwei
Wie soll man nur ein Land regieren, stöhnte Frankreichs ehemaliger Staatspräsident Charles de Gaulles dereinst, in dem es 246 Käsesorten gibt? Eine Frage, die sich auch Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner seit Jahren stellen dürfte. Denn das Berliner Schulwesen ist so unübersichtlich wie krisengeplagt und sorgt seit Jahren für Negativschlagzeilen: Gewalt gegen Schüler und Lehrer, zu große Klassen, Sprachenstreit auf Schulhöfen, unterbezahlte Lehrer, marode Gebäude. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Zauberwort Zweigliedrigkeit
Nun soll ein großer Schnitt die gesamte Bildungslandschaft der Hauptstadt neu ordnen. Wichtigster Punkt der Reform ist die Abschaffung der ungeliebten Hauptschulen, deren Abschlüsse kaum noch Wert haben und die in den Augen vieler Lehrer, Eltern und Schüler zu reinen Verwahranstalten verkommen sind. Damit soll Schluss sein. Ab der Sekundarstufe, also ab der siebten Klasse, soll es nur noch zwei Schularten geben: Das Gymnasium und die neu zu schaffende Sekundarschule – das Kernstück der Reform.
Nach den Plänen der Senatsverwaltung für Bildung soll die Sekundarschule alle Bildungsabschlüsse bis hin zum Abitur anbieten. Und das in 12 (Gymnasien) beziehungsweise 13 Jahren (Sekundarschulen). Ein Abitur an einer Sekundarschule soll später ebensoviel Wert sein wie das an einem Gymnasium. Die Sekundarschule vereinigt somit die bisherigen Schularten Haupt-, Real- und Gesamtschule zu einem einheitlichen Typ, der integrativen Sekundarschule, die einen Ganztagsbetrieb anbietet.
Ab in die Realität - Duales Lernen
Damit der neue Monolith am Schulhimmel nicht zum unbeweglichen Einheitsklotz erstarrt, werden unterschiedliche, schuleigene Differenzierungsformen entwickelt. Vor allem die Jugendhilfe, Erzieher und Sozialarbeiter, aber auch andere außerschulische Partner sollen mit den Schulen Kooperationen eingehen. Eines der erklärten Hauptziele ist nämlich eine erste Vorbereitung auf das spätere Berufsleben.
Mit dem so genannten Dualen Lernen, das zum Pflichtfach werden kann, sollen die Schüler Einblicke in die Arbeitswelt erhalten. Die Vorstellung, dass künftig Ingenieure und Handwerker in den Klassenräumen stehen, hat bereits Unmut beim Lehrerverband Bildung und Erziehung hervorgerufen – und wird wohl so auch nicht umgesetzt. Aber die früheren DDR-Fächer "Einführung in die sozialistische Produktion" und "Produktive Arbeit" erfahren, wie auch immer gestaltet, eine Neubelebung, wenngleich frei von sozialistischer Ideologie. Und ganz sicher auch ohne Heerscharen von Kids, die in Betrieben Scheuerlappen verpacken oder Glühlampenfassungen schrauben.
Mehr Chancen für Migranten
All diese Neuerungen wirken vor allem auf ein Ziel hin: den Teufelskreis aus sozialer Herkunft und erreichtem Schulabschluss zu zerschlagen. Denn nicht erst seit der PISA-Studie ist belegt, dass Kinder aus sozial-schwachen oder bildungsfernen Familien, vor allem aber Einwandererkinder deutlich geringere Aussichten auf einen höheren Schulabschluss haben. Und so sieht das Reformwerk unter anderem vor, das Probehalbjahr in der Sekundarschule abzuschaffen. Auch Sitzenbleiber wird es, so die Pläne, nur noch in Ausnahmefällen geben. Beim Übergang von der Grundschule in den Sekundarbereich soll das Schulprofil als Auswahlkriterium gegenüber dem Wohnortprinzip gestärkt werden.
Entscheidende Fortschritte aber verspricht die Reform durch eine "intensive und bessere individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler sowie eine stärkere Individualisierung von Lern- und Unterrichtsformen", wie es in dem Senatspapier heißt.
Aufbruch in die Revolution
Dass das Reformwerk erbitterten Widerspruch hervorrufen wird, ist sicher. Mitte Februar probten die Bezirke bereits den Aufstand. Sie forderten verbindliche Eckdaten, bevor sie über die Schließung oder Zusammenlegung von Standorten entscheiden, erklärten die Stadträte. Das Tempo, mit dem Bildungslandschaft umgekrempelt werden soll, sorgt für Unmut. Dabei sind viele Fragen nicht geklärt: Wie groß werden künftig die Klassen sein? Wie viel zusätzliches Personal wird gebraucht und woher soll es kommen? Wie wird der Zugang zu Gymnasien geregelt? Und: Welche der Haupt- und Realschulen werden für immer schließen? Die Bildungsverwaltung geht stadtweit von immerhin 30 bis 40 Schließungen aus.
Bereits ab dem Schuljahr 2010/11 soll der Startschuss fallen. Da kommt die Wirtschaftskrise gerade zupass, die per Konjunkturpaket II auch dem Berliner Schuletat einen staatlichen Geldsegen beschert. Mehr als 190 Millionen Euro fließen so in den Ausbau der Ganztagsbetreuung, den Bau von Mensen und die Sanierung der Gebäude. Damit lässt sich gut argumentieren. Die Bedenken jedoch wird auch die Geldspritze nicht fortspülen können. Bis das Konzept letztlich im Abgeordnetenhaus verabschiedet wird, dürfte noch an einigen Stellen geschraubt werden. Dann erst wird sich zeigen, ob das Reformwerk noch seinen Namen verdient - oder alles nur Käse ist.
Jörg Albinsky
Stand vom 25.02.2009
http://www.rbb-online.de/themen/dossiers/schule/schule_in_berlin_und/schulreform_da_waren.html
# Die Schulreform in der Übersicht
Entwicklung der Schulstruktur in den allgemein bildenden Schulen ab 2010
# Bildungspolitik
Weitere Informationen zur geplanten zweigliedrigen Schulstruktur in Berlin